Donnerstag, 31. Juli 2014
Siechenhaus (Teil III)
V

Duisburgs Armut ist jedoch nichts Außergewöhnliches. Geringe Einkommen und ein Mangel an bezahlter Beschäftigung, der Begriff Arbeit wurde von Unternehmen und Politik systematisch missbraucht, um hiesige Menschen wenigstens gängeln zu können, zieht sich durch die gesamte Zone, bis in den Osten, nach Dortmund. Um mächtiger zu wirken, hatte man das Gebiet in Metropole umbenannt und die zergliederte Siedlungsstruktur als auch die Kleinkämpfe der Kommunen, die sich bis in die Zeit alter Germanenstämme zurückverfolgen lassen, als besonderes Merkmal ausgewiesen. Fast, denn einen vergleichenden historischen Rückblick hatte man sich verkniffen.

Die sprachliche Willkürlichkeit ließe sich bestenfalls einem Trickster zuschieben. Loki ist als wohlgestaltet und böse beschrieben worden, der durch Schlauheit und Betrug alle anderen übertölpelte. Mit diesem Eingeständnis hätte man allerdings nicht prangen können. In einigen Wissenschaften ist Beliebigkeit, falls Definition darüber steht, jedoch inzwischen üblich, und wenn man der Auffassung folgen würde, für die alles Erkannte erfunden sei, kaum anderes möglich. Der radikale Konstruktivismus ist wie für Arme und das Ruhrgebiet geschaffen!

Die Armut reicht übrigens bis ins exterritoriale Berlin. Ohne Hauptstadtbonus sähe es dort vermutlich schlimmer aus als im Pott. Berlin ist auf Sand gebaut, das Ruhrgebiet auf Schiefer.


VI

Viele Jahrzehnte bevor der Konstuktivismus begann, nicht nur in der Neurologie, sondern auch unter Laien für Aufsehen zu sorgen, hatte Otto Neurath aus wissenschaftstheoretischer Sicht von einem Umbauen eines Schiffes auf hoher See gesprochen. Sein Bild war sprachlich motiviert, nicht durch Messungen von Hirnprozessen, die bei Wahrnehmungen möglich sind. Sieht man von den spärlichen aber durchaus relevanten neurologischen Ergebnissen ab, erfasst die Theorie bzw. das Marketing der Konstruktivisten die eigenen sprachlichen Konstruktionsbedingungen nicht, die Revolution verbreitet kaum mehr als den ängstlichen Atem ihrer Betreiber, die erhaltenen Forschungsgelder nicht wert zu sein. Von jungen Leuten, sie hatte der Konstruktivismus offensichtlich in Erregung versetzt, war in Online-Gruppen zu lesen, dass Erkenntnis tatsächlich von Menschen gemacht wird! Dies war vermutlich die Erste in ihrem Leben.

Man weiß ja wenig. Zumal in Deutschland. Und wer wäre bereit, das Tabu zu brechen, das durch Fragen nach Wirtschaftlichkeit entstanden ist? Wissenschaft und Philosophie, die schufen keine Arbeitsplätze, hinterließen bloß eine Menge von konfusen Leuten, die ökonomisch kaum mehr zu gebrauchen waren, ja, die niemand mehr verstand. Das war doch rausgeworfenes Bildungs-, vor allem aber Steuergeld! Schlichte Lehrbücher, ihre Definitionen und Modelle, was zum Auswendiglernen und kreuzweisem Abfragen, was will man mehr? Alles andere wäre doch esoterisch, oder nicht?

Vielleicht ahnen sie, wie die Seiche entstehen konnte. Auch diese muss nichts Schlechtes sein. Ich erinnere mich noch, wie ich mit orangenen Flügeln allmählich Schwimmen lernte, in einer Arbeiterkathedrale, dem uralten Hallenbad, dessen Buntglasfenster mit Insignien und Szenen von und aus der Schwerindustrie facettenreich geschmückt waren. Es gab nur ein Becken, das zunächst relativ flach war, sich aber graduell vertiefte. Der Planschbereich, in dem sich die Engel tummeln durften, war durch geflochtene Seile abgegrenzt. Das ist die heutige Wissensgesellschaft.

Oder nehmen sie die Künste. Wenn man als Konsument schon nichts versteht, dann sollten die Werke wenigstens schön und erfreulich sein, oder nicht? Keine musikalischen Ereignisse und Strukturen, sondern Gefühl bzw. ne Menge Feeling, das ist relevant, oder nicht? Mit schrecklichen Werken werden bloß psychologische Experimente ausgerichtet, dabei ist doch bekannt, was sie mögen, oder nicht? Sie wollen sich ihr trübes Leben erhellen und sich dabei pampern lassen, oder nicht?

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