Freitag, 14. April 2017
Die Durchführung II (10)
Mit der Orientierung an Erkenntnissen im Sprachbildungsprozess kommt ein weiteres Element im literarischen Konzept hinzu. Bislang, im Kontext von Metaphern, war allgemein nur von einem Spiel und, außer von einem Bild-, von einem möglichen Theoriewert die Rede. Erkenntnisse einzubringen, stellt jedoch relativ hohe Anforderungen, die weit über eine bürgerlich erwartbare Nettigkeit und Schönheit hinausgehen.
Ließe sich die Formulierung ‚erforderliche Erkenntnisse‘ konkreter fassen? Und hätte ein literarischer Autor auch ein wissenschaftlicher Forscher zu sein? Was fiele unter ‚Wissenschaft‘? Auch die Arbeit eines empirischen Kulturwissenschaftlers, der im Auftrag von Politik oder Medien eine Studie anfertigt, unter der besonderen Berücksichtigung, was aktuell als Kultur unter den Befragten und seinen Auftraggebern gilt? Ist denn die Wissenschaft, im Zusammenhang mit erlangbaren Aufträgen, längst eine willige Hure?

Ist man als Literat nicht darauf ausgerichtet, die empirische Wirklichkeit nachzuahmen, eine Nachahmung würde sich aus methodischer Sicht ohnehin nur auf eine empirisch mögliche Wirklichkeit beziehen können, sogar dann, wenn allgemein bekannte Ereignisse geschildert werden, sind einige der Fragen unangemessen gestellt! Mit der Empirie hat die Literatur gar nichts zu tun, allenfalls mit einer empirisch möglichen. Auch falls man als Literat anderes glaubt.
Nutzt man hingegen den literarisch möglichen Freiraum, und zwar aktiv, lässt sich z.B. eine Wirklichkeit beschreiben, die Fragen beantwortet, auch solche, die niemand gestellt hat. Der erste Brief aus „Eros im Mailverkehr“, einer Briefprosa, endet mit den Worten: „Mich gibt es auf Film, auch spüre ich die Blicke anderer an jeweils unterschiedlichen Stellen meines Gesichts, mich gibt es aber nicht vor meinem Blick. Ich glaube, es wäre nicht bei Haarrissen geblieben.“ Zuvor hatte der Briefeschreiber bereits von seinen außergewöhnlichen Schwierigkeiten im Umgang mit der Kamera erzählt.
Thematisiert wird eine Unmöglichkeit, sich selber zu erfassen, ohne sich, vorsichtig formuliert, radikal zu verändern. Der Briefeschreiber ist ein Tänzer (Modern Dance), wie sich allerdings erst viel später herausstellt; zum Verständnis der Worte ist dieser Hinweis jedoch sekundär. Sachlich und im Vergleich wendet sich die Passage gegen ein gesellschaftliches Geplauder über menschliches Selbstbewusstsein, allerdings nur in logisch möglicher und skurriler Form.

Literatur:

Ammern, M., 2013, Eros im Mailverkehr, Duisburg.

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