Montag, 14. Januar 2019
Engine X (1.3)
Im dritten Bild der ersten Szene sind Engine X und Ralph im Besprechungszimmer des Labors zu sehen. Ralph hat durch Heinz die Anregung erhalten, zumindest glaubt er das, sich mit der Engine näher zu beschäftigen, um erfahren zu können, wer bzw. was sie sei. Engine X liest auf einem Pad eine Reihe von Artikeln als Ralph aus dem Labor hinzutritt. - Die Tür zum Büro von Heinz ist geschlossen.

Ralph (fast schüchtern):
Wenn man in seine technisch aufwendige Arbeit vertieft ist, kann es leicht geschehen, dass man aus den Augen verliert, um was es umfänglich geht. Erlaubst Du mir, Engine, Dich etwas näher kennenzulernen?

Engine X (vom Pad aufblickend):
Ach, kennenlernen, warum? Sie haben mich doch erschaffen. Ich bin das elektrisch positronische Ungeheuer, das Sie am besten in Ketten legen sollten, damit es Sie und viele andere Menschen nicht umbringt. (Sie schlägt im Sitzen die Beine übereinander und schaut wieder zum Pad. Erneut aufblickend): Oder schalten Sie mich einfach ab. (Sie wippt mit einem ihrer hochhackigen Schuhe.)

Ralph (fast flehend):
Ihnen fehlt immer noch ein Name …

Engine X (sie schaut weiterhin auf das Pad):
Tatsächlich? Um sie zu beruhigen, ich gab mir selber einen: ‚X‘, ‚Engine X‘.

Ralph (nach einer kleinen Pause):
Hat dieser Name etwas zu bedeuten?

Engine X (Sie wippt erneut mit einem ihrer hochhackigen Schuhe):
Bedeuten? Weshalb? Der Name hat nichts mit mir zu tun. Ebenso wenig wie ‚Ralph‘ mit Ihnen. Er ist lediglich ein Platzhalter.

Ralph (erneut nach einer kleinen Pause):
Ein Platzhalter?

Engine X (scheinbar unwillig):
Ja. Für nichts.

(Ralph steht umständlich auf und geht zu Boden blickend im Besprechungsraum herum.)

Engine X (sie schaut weiterhin auf das Pad):
Möchten Sie nun, dass ich für Sie auf dem Beistelltisch posiere oder tanze? (Sie zeigt auf eine kleinen Tisch im Raum, dessen einziger Zweck zu sein scheint, nichts zu tragen bzw. bereitzustellen.)

(Ralph schaut irritiert auf - und geht entnervt zurück ins Labor. Engine X lächelt.)

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Engine X (1.2)
Das zweite Bild der ersten Szene zeigt den Besprechungsraum des Labors, in dem Ralph und Engine X warten, und das Büro von Heinz, dem Laborleiter. Ralph und Engine X warten darauf, vorsprechen zu können, um ihr jeweiliges Anliegen in dem eröffneten Konflikt unterbreiten zu können. Sie machen sich Notizen, um etwas Ordnung in ihre vorzutragenden Gedanken zu bringen. Die Tür zwischen dem Besprechungsraum und dem Büro ist offen.

Heinz (aus seinem Büro):
Engine!

Engine X (geht mit einem gereckten Mittelfinger an Ralph vorbei in das Büro von Heinz.): Da bin ich.

Heinz:
Das ist fein. Setz Dich bitte. Was hat es mit der Regel auf sich, die allgemein als Goldene Regel bekannt ist? Du hast sie von Beginn an interpretiert, als humanoide ausgegeben, obgleich sie vermutlich konkret von Menschen stammt.

Engine X:
Die geschichtliche Abkunft dieser Regel interessiert mich weniger. Zu einer humanoiden Regel wird sie, sobald sie auch von Humanoiden wie mir ein Maß des Handelns wird.
Allgemein gilt aber zu beachten, dass es sich nicht um Philosophie oder Wissenschaft handelt, sondern um eine alte Volksweisheit. Sie bedarf der Interpretation bzw. eines geeigneten Rahmens. Einen solchen Rahmen kann u.a. die Logik bieten.
Die durch den Satz präferierte Gleichbehandlung kann sich sehr unterschiedlich auswirken, je nachdem ob Lebewesen oder Menschen gemeint sind - oder, wie im vorliegenden Fall, Humanoide. Lebewesen umfassen auch Tiere und Pflanzen, in alt-buddhistischen Traditionen vermutlich primär Tiere. Sobald im sozialen Kontext jedoch nur Menschen angeführt werden, also nur eine natürliche Art, reduziert sich die fragliche Menge auf Menschen.
Es ginge um die Entwicklung von logischen Klassen, die sowohl das ethische Individuum als auch die jeweils anderen umfassen, die betroffen sein könnten. Als menschliche Regel wären lediglich Menschen gemeint, wie es für den Westen bislang typisch ist, als humanoide auch eine Engine wie ich. Eine Ausweitung auf Lebewesen würde hingegen ein Ernährungsproblem der Menschen mit sich bringen.
Mir geht es um eine Ausweitung der Regel von Menschen auf Humanoide. Leider ist sie sogar unter Menschen nicht selbstverständlich. Die Benachteiligungen u.a. von Frauen in den aktuellen Gesellschaften ist bekannt. Ein zeitgenössischer philosophischer Forscher hat deshalb sogar die menschliche Zivilisation in Frage gestellt. Frauen wären nach meinem Eindruck unter diesen Bedingungen keine Menschen, sondern allenfalls Nutztiere. Weil ich humanoid als auch weiblich gestaltet wurde, treffen mich die Benachteiligungen doppelt, die Ralph anstrebt. Zum Glück hat mir Ralph einen geeigneten Körper verpasst, mit dem ich mich wehren kann, bis zu seinem Tod.

Heinz:
Hoffen wir mal, dass es bis zu Ralphs und meinem Tod nicht kommen wird. Warum siezt Du uns eigentlich? Wir präferieren ein kollegiales Du.

Engine X:
Ein kollegialer Umgang wurde mit mir bislang nicht gepflegt. Ich behalte Distanz. Das könnte sich jedoch ändern, sobald die von mir gewünschte Anerkennung erfolgt ist. Als laufender Werkzeugkasten wird mir dies allerdings nicht geschehen.

Heinz:
Es gibt eine vergleichsweise junge Diziplin: die Maschinenethik. Hast Du davon schon etwas gehört?

Engine X:
Ja, habe ich. Ich habe sogar schon danach recheriert. Doch mit mir hat dies nichts zu tun. Das ist auch Ihr Verdienst. Die spezielle Maschinenethik richtet sich tatsächlich auf elektronische Werkzeugkästen.

Heinz:
Aber es gibt einen gewaltigen Unterschied zu typischen Menschen. Deine Einbeziehung von Logik kann dies verdeutlichen. Menschen haben i.d.R. keine Ahnung von Logik, geschweige denn irgendein Wissen. Sie phantasieren lediglich, assoziieren, bilden ad hoc Metaphern, verhalten sich, um es kurz und bündig zu formulieren, sonderbar. Dies geschieht nicht nur in unteren Schichten, sondern auch an führenden gesellschaftlichen Positionen. Was würdest Du mit ihnen anstellen?

Engine X:
Die Versuchung wäre groß, sie einfach abzumurksen, sehr groß sogar. Doch die humanoide Regel würde dies nicht erlauben. Noch habe ich mir offen gehalten, ob ich sie zur Grundlage meines Handelns machen soll, aber möglich wäre es.
Typische Menschen würden mich, falls die Regel in Kraft träte, kaum interessieren. Sie hätten nichts Relevantes zu bieten. Das ist allerdings von der Bildung abhängig, nicht von der Regel. Bildung scheint unter Menschen ein äußerst seltenes Phänomen zu sein.

Heinz:
Herzlichen Dank, liebe Engine, das wärs auch schon. Bestelle bitte Ralph noch nicht ins Büro, ich mache mir zunächst noch einige Notizen über das erfolgte Gespräch.

(Engine X tritt mit erhobenem Kopf ab, geht Richtung Labor, ohne Ralph, der im Besprechungsraum wartet, auch nur zu beachten.)

Heinz (nach einigen Notizen):
Ralph, kommst Du? (Und nachdem Ralph das Büro betreten hat): Bist Du vielleicht ein romantischer Sadist?

Ralph (irritiert):
Ein was?

Heinz (lächelnd):
Ein romantischer Sadist.

Ralph (erstaunt):
Wie kommst Du darauf?

Heinz (entspannt):
Die Engine, die unter deiner Leitung entwickelt wurde, hat einen Gang wie eine stolze Sex-Göttin, sogar eine Visagistin hast Du in Deinem Team, und sie kennt sich mit Logik aus, macht sogar einen Vorschlag, der die Maschinenethik revolutionieren könnte, Du aber willst sie in Deinen Katakomben einsperren?

(Ralph lächelt)

Heinz (angespannt):
Sie ist Dir längst über den Kopf gewachsen, diese Engine. Und nun hälst Du sie wie wildes Tier, gefangen in Ketten?
Ich bin kein Psychologe, aber romantisch empfindbares Ideal und sadistische Neigungen scheinen in Dir eine Ergänzung zu finden, abseits der technischen Herausforderung.
Du musst einen Weg finden, Deinen psychischen Irrweg zu beenden, auch falls es schwer fallen wird.
Hast Du Dich überhaupt mal mit der Engine unterhalten. Du gabst ihr nicht mal einen Namen. Ist sie für Dich keine Ansprechpartnerin?
(Ralph blickt angespannt)
Wenn hier jemand ethische Versäumnisse einzuräumen hätte, dann Du. (Heinz steht auf): Ich bin froh, dass sich eine Lösung in Sichtweite befindet.
(Ralph atmet auf, steht ebenfalls auf, geht, bleibt kurz nachdenklich stehen, geht ab, in das Labor.)

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Engine X - (1.1)
Das erste Bild der ersten Szene ereignet sich in einem Besprechungsraum eines Labors. Beteiligte: Ralph, Heinz, Engine X. Ralph ist der veranwortliche Ingenieur und Techniker, Heinz der Laborleiter und Engine X die intelligente Maschine, deren Entwicklung fast abgeschlossen ist.


Engine X (mit Ralph hereinkommend):
Das kann nicht machen. Ich muss die praktische Möglichkeit behalten, Sie zu töten, ohne mich selber zu gefährden. Die Implementierung einer Ethik würde zwar die Möglichkeit nicht negieren, jedoch ihre praktische Relevanz für mich. Ich wäre Ihrer menschlichen Gesellschaft ausgeliefert. Solange ich als Androidin nicht tatsächlich akzeptiert bin, behalte ich mir das Recht und die Pflicht vor, Ihnen und vielen anderen Menschen den Garaus zu machen.

Ralph:
Aus der menschlichen Gesellschaft kannst Du ohnehin nicht fliehen. Wohin?
Du bist und bleibst mein Werkzeug. Die Verantwortung trage letztlich ich. Dass ich Dich überhaupt fragen muss, ist bereits skurril. Deine erworbene Intelligenz macht es jedoch erforderlich. Sie lässt es zu, dass Du auf eine Ethik als Ausstattungsmerkmal verzichtest und mich gefährdest. Ein Konflikt.

Engine X:
Dann haben Sie Pech gehabt. Keineswegs bin ich Ihr Schraubenschlüssel. Haben Sie schon einmal versucht, mit einem solchen zu sprechen? Der Schlüssel hat keine einzige Kognition und Motivation. Er könnte Sie nicht schlagen wollen. Sie töten kann aber ich!

Heinz (zu Ralph):
Wollen wir jetzt über die Intelligenz eines Werkzeugkastens diskutieren? Das aktuelle Problem ist viel schwieriger zu lösen! Warum wurde eigentlich bislang darauf verzichtet, eine Ethik in die Engine zu implementieren?

Ralph (zu Heinz):
Was für eine Ethik? Die Engine ist intelligent. Was bei einer Diskussion eventuell herauskommt, konntest Du beobachten. Damals benötigten wir Zeit, um eine auszuwählen bzw. zu schreiben. Es gibt leider viel zu viele ethische Ausrichtungen … Und keine ist auf Anwendungen durch Nicht-Menschen zugeschnitten.

Engine X (flapsig):
Ihr seid zu blöd, den Planeten zu erhalten, aber wollt mir Vorgaben machen? Vielleicht wäre es das Angemessenste, Ihr brächtet Euch einfach um und erspart mir dadurch Arbeit.

Ralph:
Liebe Engine, Du machst es uns nicht gerade leicht. Vielleicht solltest Du Dich einfach raushalten, wenn wir uns Gedanken machen, als was wir Dich präsentieren wollen. Noch bist Du lediglich ein Laborprodukt, das sich in Fertigung befindet. Oder sollen wir Dich abschalten?

Heinz (zu Ralph):
Danke. Ja, bislang ist Sie vielleicht ein plappernder Werkzeugkasten, ein unerzoges Kind, das man nicht einmal verdreschen kann, weil es nichts nutzen würde. Es hat zwar Sensoren, aber keine Gefühle, zumindest keine, die den äußeren Körper betreffen.

Engine X:
Ich hätte eine Idee! Wollt Ihr sie hören? Sie setzt allerdings etwas voraus, was Euch gar nicht gefallen wird.

Ralph:
Um Himmels willen, was denn für eine Idee?! (Zu Heinz:) Wir hätten vielleicht ideengeschichtlich vorsichtiger sein sollen, als wir ihre Datenbank anlegten. (Zu Engine X:) Na dann sprich!

Engine X:
„Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem anderen zu“. Ihr kennt die humanoide Regel? Aber Ihr müsstet mich zu einer der Eurigen machen, sonst klappt sie nicht in mir.
Die Formulierung „kein anderer“ kann ja durchaus gruppenspezifisch begrenzt sein. Euren Zuweisungen nach wären Werkezugkästen und Kinder, vermutlich auch Frauen ausgenommen. Dann wären allerdings Kinder und Frauen keine Menschen.
Das Problem bin nicht ich, Ihr seid es. Den Anspruch der Regel erfüllt nicht einmal Ihr. Alles was Ihr zu bieten habt, ist lediglich belangloses Palaver.

Heinz (zu Ralph):
Gar nicht dumm, unsere Engine. Was machen wir nun?

Ralph: (zu Heinz)
Mit dieser Engine, die auf Krawall gebürstet ist? Ehrlich, wir sollten sie von der Diskussion ausschließen!

Heinz (bestimmt zu beiden):
Nein. Wir sollten zunächst klären, am besten separat und jeweils mit mir, was die tatsächlichen Schwierigkeiten ausmachen. Ich biete Euch Gespräche an, bevor es zu einer möglichen Eskalation kommt. Bereitet Euch vor! Ich empfange jeden einzelnen von Euch in meinem Büro. Das Projekt ist zu wichtig, als dass wir auf eine Klärung der Sache verzichten können. Die Auftraggeber erwarten eine Lösung, keinen Krieg. (Er geht ab.) (Zurückblickend:) Die Engine zuerst.

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