Donnerstag, 16. Juli 2015
„Storming“ - Pause (zwischen Szene 6 und Szene 7)
Nachdem Betty eine erforderliche 'Distanz' ins Gespräch einbrachte, ist eine Pause angemessen. Wie es weitergehen wird: Wer weiß?

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„Storming“ - Szene 6 - Gespräch - Teile 1-2
Ausstattung: Tisch, 4 Stühle, 4 Gläser, einige Flaschen, schwarz ausgehangen
Beteiligte: Personen 1-4


1/
[Alle sitzen am Tisch, nach einem kurzen Schweigen]

Person 4 (männlich):
[Zu Person 1 gerichtet:] Entstammst du einer Insel der Glückseligen? Deine Musik ist, vielleicht mit Ausnahme des letzten Stückes, in dem eine Stimme fast ausgesperrt wird, so gegen gar nichts gerichtet. Auch die fast Ausgesperrte darf weiter ertönen. Alles findet Raum, bedingt durch die eigentümlichen Skalen, die eine alte Ordnung von orthodoxer Tonalität und Atonalität bzw. freier Tonalität über den Haufen werfen.
Assoziationen über Gesellschaftliches verbieten sich geradezu, auch wenn sich vielleicht in manchem Fall einige Vergleiche mit Computerspielen oder simulierten Weltraumreisen anbieten, nicht einmal eine radikale Reduktion auf besondere Spielweisen oder Klangentfaltungen ist zu entdecken. Der innere Frieden kann verwundern, und ein nahezu sorgloses Spiel, ohne dass in den Miniaturen auf Ungewöhnliches, besonders in der kleinmotivischen Entfaltung, verzichtet wird.

Person 1 (männlich):
Oh je - wenn sich Assoziationen über Gesellschaftliches nicht anraten lassen, weshalb dann die Eingangsfrage? Es wäre doch ein pathetisch aufgeladenes Fantasma, die Musik der Gesellschaft gegenüberzustellen und sie mit Deutungen handhabbar plattzumachen. So ein posttraumatischer, pathetischer Kram interessiert mich nicht, in der Musik schon gar nicht.
Es funktioniert einfach nicht. Wer Musik macht, verhält sich nicht politisch, egal was er komponiert oder improvisiert. Wer Literatur verfasst, egal worüber er schreibt, verhält sich nicht politisch. Dies kann durchaus von vielen Seiten missverstanden werden. Doch um Politik betreiben zu können, müsste man sich in einer Partei hocharbeiten, oder jemand hätte mit einer Waffe in den Bundestag zu ballern.
Das deutend fantasmagorische Erlebnis wäre, um die beliebt gewordenen Vokabel anzuführen, allenfalls Wahn. Dazu noch lächerlich. Ein billiger, jämmerlicher, feiger Ersatz.

Person 2 (weiblich):
Es freut mich, dass du auch die Literatur anführst. Es gibt schon wieder Zensur, im Namen einer ‚Political Correctness‘, die moralisch als auch ahistorisch unterfüttert ist, anstatt einen zeitgenössischen Erläuterungsbedarf einzugestehen, der auch die Historie umfasst. In Textfassungen völlig harmloser Kinderbücher wurde eingegriffen. Ein politischer Dirigismus mischt sich inzwischen fast überall ein. Das sind Merkmale einer sogenannten ‚absoluten‘ Diktatur.

Person 3 (männlich):
Demnach wäre es unmöglich für uns, in diesem Raum politisch zu agieren, besten- als auch schlechtestenfalls als untragbare Illusion. Uns blieben nichts als schlichte Äußerungen übrig. Auch dann, wenn sie gegen die Politik gerichtet sind. Mehr als eine unabhängige Meinungsbildung und -äußerung ließe sich nicht erreichen?

Person 3 (männlich):
Demnach wäre es unmöglich für uns, in diesem Raum politisch zu agieren, besten- als auch schlechtestenfalls als untragbare Illusion. Uns blieben nichts als schlichte Äußerungen übrig. Auch dann, wenn sie gegen die Politik gerichtet sind. Mehr als eine unabhängige Meinungsbildung und -äußerung ließe sich nicht erreichen?

Person 4 (männlich):
Eine relative Unabhängigkeit zu sichern, das wäre tatsächlich schon viel, sehr viel. Leider ist ein solches Kriterium wenig beliebt. Für Menschen, deren Leben überwiegend aus Beschäftigungen mit Musik, Literatur oder Performances besteht, laden sich gleichsam automatisch ihre Tätigkeiten und Produkte mit Leben auf, weil sie nichts anderes kennen noch können. Ein grober Unfug von intellektuell erscheinenden Künstlern, die sich und ihre Beschäftigungen zu wichtig nehmen. Um es auf eine Spitze zu treiben: es handelt sich um Wahnisten [er grinst].

[Schweigen]

Person 1 (männlich):
Wir gewinnen allmählich etwas Fahrt. - Eine Weltraumreise? Das irdische Sonnensystem ist doch nicht mehr als ein schlechter Witz. Und in wenigen Sekunden durchflogen. Lasst die egomanischen Primaten dumm und dämlich sterben. Mich würde dies nicht stören.

Person 2 (weiblich):
Hättet ihr Lust, auf eine Reise? Ich könnte euch mitnehmen. Mein Raumschiff hab ich hinterm Mond geparkt [sie lächelt]. Zu viel Müll im Dunstkreis der Erde. Die Primaten werfen ihren Schrott einfach aus den Fenstern. [Sie steht auf, breitet die Arme aus und simuliert eine langgezogene Kurve, und noch eine.] DAS ist ein Erlebnis …

[Währenddessen: Zuschauen, Schweigen]

Person 3 (männlich):
Die Dämpfungsmechanik ist aber erstaunlich ausgeprägt. Ich spüre so gut wie nichts [er lächelt].

Person 2 (weiblich):
Ich könnte natürlich umschalten, auf einen primitiveren, auf den Rumpel-Modus. [Zu Person 3 gewandt:] Vintage, falls dir das was sagt. Eventuell bist du schon zu lange unter Primaten? [Sie greift nach vorn, nach einem riesengroßen imaginären Hebel, und zieht ihn zurück - plötzlich fangen alle auf den Stühlen heftig zu zucken und zu wackeln; sie drohen sogar, von den Stühlen zu plumpsen, müssen sich abstützen].

Person 4 (männlich):
Bitte, bitte erspare uns das!

[Person 2 macht die Hebelbewegung rückgängig]

Person 1 (männlich):
Sorry, liebe Betty, aber das ist doch kindisch.

Person 2 (weiblich):
[Sie springt auf Person 1 zu, baut sich auf und stemmt dabei die Fäuste in die Seiten:] Na und?

Person 4 (männlich):
Und wer steuert jetzt?

Person 2 (weiblich):
[Sie springt auf Person 4 zu, stemmt erneut die Fäuste in die Seiten:] Der Autopilot! Eine solche Technik ist doch uralter Kinderkram. [Sie beugt sich vor sein Gesicht:] Bist du denn blöd?


2/
Ausstattung: Tisch, 4 Stühle, 4 Gläser, einige Flaschen, schwarz ausgehangen
Beteiligte: Personen 1-4


[Alle sitzen am Tisch, nach einem kurzen Schweigen]

Person 3 (männlich):
Nun gut. Also kein Aufklärungsprojekt. Es gibt bereits einzelne Leute, die stattdessen andere Utopien für Europa anstreben. Doch gegen ein ‚Reich Gottes‘? Das ist nach meinem Ermessen aussichtslos. Noch ne Utopie, und noch ne Utopie … Ohne zu begreifen, dass sie bereits gegen einen absoluten Wahnsinn Stellung beziehen.

[Schweigen]

Person 2 (weiblich):
Dann bleibt nur die Fantasie. So etwas haben aber nicht viele Menschen, und nur wenige können das entwickeln. Eine Aufforderung, jetzt sei mal kreativ, liefe ins Leere, unser Storming kann dies deutlich machen. Bislang ist von uns nichts, aber auch gar nichts erreicht.
Abstand wäre ungemein wichtig, damit man nicht fortwährend auf den eigenen Stumpfsinn starrt, Distanz, damit das Hirn die Möglichkeit erhält, im Hintergrund zu wirbeln, frei von all den Beschränkungen der ach so geschätzten Rationalität. Gebt dieser Tussi einen kräftigen Tritt in den Arsch!

Person 4 (männlich):
‚Fantasie‘ hört sich gut an, ist jedoch viel zu pauschal. Was sind denn die konkreten Probleme, zum Beispiel in den Künsten? Ich könnte die Schaffenden lediglich aufmuntern, nicht wegen materieller Not zu einem gesellschaftlichen Dienstleister zu werden, zu einem Verräter an sich selbst, stattdessen das lumpenbehangene Dasein stolz zu präsentieren. Besonders schlecht zu riechen, wäre kein Makel, sondern ein verfeinerbares Merkmal.
Die entstehende Bettlerklasse würde sich fantastisch ins ‚Reich Gottes‘ einfügen. Sie stärkte nicht nur den relationalen Wert aller anderen, den sonderbaren Individuen ließe sich sogar beim Sterben auf der Straße zusehen. Wäre dies kein Ereignis, kein dokumentier- und medial verwertbarer Event? Gott liebt die Armen und Sterbenden. Gott ist nicht tot, er IST der Tod!

Person 2 (weiblich):
Jetzt verwandelt sich Europa imaginär zu einem Friedhof. Danke Jens. Verstehst du? Das ist es, was ich meinte. Wir brauchen Bilder, die gegen den Stumpfsinn der buchhalterischen Zahlen votieren. Bilder, die Stellung beziehen. Wir müssen die Menschen erreichen können. Der verhängte Wahn muss riech- und schmeckbar sein. Und sei es mit Modder, Knochen und Tod.

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Hier geht es zur Szene 7: http://markammern.blogger.de/20150718/

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