Montag, 6. März 2017
Die Durchführung (1)
Falls die sprachliche Form frei ist, was ließe sich über eine Durchführung sagen? Ich entsinne mich an Fernsehdiskussionen, in denen Marcel Reich-Ranicki einen doppelten Boden im Kontext über Romane hervorhob. Ähnliches war von ihm auch in der FAZ zu lesen: „Um es knapp zu formulieren: Die Literatur ist auf einen doppelten Boden angewiesen, der Journalismus hingegen soll sich um diesen Boden überhaupt nicht bemühen, er darf ihn nicht haben.“ (Vgl. Fragen Sie Reich-Ranicki: Was zwischen den Zeilen steht, 2009) Diese Sichtweise in Bezug auf Literatur klang damals bereits ziemlich bieder, bürgerlich, und hatte als Voraussetzung, dass es in Romanen oder Dichtungen oberflächlich um erzählte Geschichten oder um Ereignisse geht, in einem Kellergeschoss des Erzählens um sachlichere Belange.
Diese simple Schema muss jedoch keineswegs ausreichen. Würde ein Autor darauf verzichten, durch seine Figuren z.B. eine klassische Geschichte oder ein erdichtetes Ereignis erzählen zu wollen, wäre es möglich, mehr Ebenen zu erzeugen, nicht nur die eines Bungalows, sondern die eines Turms zu Babel, Hamburg oder New York. Diese Hochbauweise wäre zwar eventuell komplex, sparte aber vielleicht Raum (und Seiten) ein. Ein solcher Komplex könnte bildhaft sogar auf einer Spitze stehen, in der so gut wie nichts geschieht, wie eine umgekehrte Pyramide, und relevante sachliche Fragen in die Höhe treiben. Freilich, wer sich gerne von Schriftstellern in die Ohren säuseln lässt, um leichter einschlafen zu können, für den wäre ein Konzeptioner, der mögliche Ereignisse gleichsam ausbeint, ähnlich wie ein Metzger, um sie weiterzuverwerten, vermutlich ein Gräuel bzw. Gräul.
Was Reich-Ranicki unter einem ‚doppelten Boden‘ fasste, erläuterte er in der FAZ an einem Beispiel: er führte Goethes Dichtung „Heideröslein“ an, das bildhaft das Verhältnis eines Jungen zu einer wilden Rose erzählt. Für Reich-Ranicki handelte es sich um den Ausdruck einer Vergewaltigung. Dieser Interpretation möchte ich gar nicht widersprechen, doch die sprachliche Gestaltung des doppelten Bodens, die auf einer bildhaften Schreib- und Lesart beruht, bleibt einfach und volksliedhaft.
Ein doppelter Boden kann viel komplexer angelegt sein, nicht nur bildhaft, sondern auch ‚theoretisch‘ - besser wäre wahrscheinlich zu sagen, unter Einbezug von Theorien.
In beiden Fällen (primär bildhaft oder theoretisch) wäre jedoch die Metapher ‚zwischen den Zeilen‘ kaum hilfreich, um etwas erläutern zu können. Wäre man nicht bereit, sich auf mögliche Bild- oder Theoriewerte von Formulierungen zu beziehen, sondern lediglich auf eine Leere, kann man es auch sein lassen. Es handelt sich lediglich um eine umgangssprachliche Wendung, die vermutlich im 19. Jhd. entstand.


Literatur

Fragen Sie Reich-Ranicki: Was zwischen den Zeilen steht, 2009 (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/fragen-sie-reich-ranicki/fragen-sie-reich-ranicki-was-zwischen-den-zeilen-steht-1879373.html)

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