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Freitag, 15. August 2014
Siechenhaus (XV)
mark ammern, 09:27h
XXVIII
Können Sie uns erläutern, weshalb es in unserem Klinikum zwar Gespräche über Schönheiten und Langeweilen, jedoch nicht über Kultur gibt? Was hat uns veranlasst, sie auszusperren? Wird nicht vielerort über Kultur geredet, bei der UNESCO, in Wirtschaftkreisen, in Universitätseminaren und auf Veranstaltungen von Provinznestern? Kultur ist zu einem Heilbringer geworden, nur bei uns nicht!
Es gibt sie gar nicht, die Kultur. Ist dies nicht typisch für Heil und Bringer? Jeder spricht über anderes. Es blieb nur übrig, sich dem gesellschaftlichen Gerede zu entziehen. Dem Haus geht außer dem Rauschen nichts verloren. Künste, Wissenschaften, Gärten, was auch immer. Kultur ist nur ein beliebiges Emblem. Was zum Draufpappen, zum Wegschmeißen.
Ist es so schlimm geworden? Gibt es bereits einen Kulturaufkeber, ähnlich wie bei Bio? Geht es letztlich ums Geschäft?
Fast. Drei Ausdrucksweisen seien hervorgehoben. Kultur umfasse alles vom Menschen gemachte, ob seit alters her durch Vernunft, oder neuerdings durch Weitergabe eingegrenzt. Eine andere Richtung ist aus städtischen, bürgerlichen Interessen entstanden. Bezog sich auf Künste und das bürgerliche Engagement. Daraus sind inzwischen Wirtschaftszweige geworden. Aktuell kämpft die Buchbranche ums Überleben, startete eine Reihe von aufwenigen Kampagnen, u.a. mit einem Aufkeber Vorsicht Buch! Speziell eine Weitergabe, ein Lernen, findet allerdings auch unter anderen Tieren statt. Biologen sahen sich ermuntert, in diesen Fällen ebenfalls von Kultur zu sprechen. Es ist ausichtslos. Ein Erkenntnisgewinn ist nicht zu entdecken.
Erwarten Sie nicht zu viel von der Gesellschaft? Erkenntnisgewinn? Wer fragt danach? Wir hätten uns auf eine Seite schlagen müssen. Dies wäre unserem Klinikum nicht bekommen. Und Natur? Assozieren viele Menschen mit einem solchen Wort nicht Sonne, Blümelein, Sumsumsum, oder Baum und Hagel?
Dies ist im Hinblick auf die Umgangssprache tatsächlich ein Problem. Natur ist durch die Wissenschaften ein abstraktes Wort geworden, u.a. durch die methodische Konzentration auf Mathematik. Doch Methoden wurden entwickelt, um etwas zu erfahren, nicht um Gegenstandsbereiche abzugrenzen. Galileos Prosa, Mathematik sei die Sprache der Natur, wirkte nachhaltiger, als es Fragen nach Angemessenheit je vermochten. Wenn ein Gedicht natürlich ist, weil es nicht metaphysisch sein kann, mathematische Berechnungen bei der Analyse jedoch wenig hergeben, warum es nicht mit Sprache versuchen? Sammelbegriffe wie Künste und Wissenschaften sind bereits schwer zu fassen. Aber sie lassen sich jeweils leichter integrieren, als über den Umweg Kultur, diesen verbeulten und kaputten Eimern, die derzeit wie Grale über unansehnliche Baustellen getragen werden.
Müssten die Kulturwissenschaften, wenn sie sich mit allem beschäftigen, was Menschen hervorgebracht haben, nicht auch Fächer wie Mathematik und Musik integrieren? Davon ist im Ruhrgebiet nichts zu sehen! Handelt es sich nicht um die alten Geist- und Sozialwissenschaften, die neu zusammengefasst worden sind?
In Bezug auf die Sortierung gibt es nichts zu verstehen. Der Anreiz kam meines Wissens aus der Politik, die Ausrichtung galt dem Arbeitsmarkt. Ein makaberer Schwindel.
Können Sie uns erläutern, weshalb es in unserem Klinikum zwar Gespräche über Schönheiten und Langeweilen, jedoch nicht über Kultur gibt? Was hat uns veranlasst, sie auszusperren? Wird nicht vielerort über Kultur geredet, bei der UNESCO, in Wirtschaftkreisen, in Universitätseminaren und auf Veranstaltungen von Provinznestern? Kultur ist zu einem Heilbringer geworden, nur bei uns nicht!
Es gibt sie gar nicht, die Kultur. Ist dies nicht typisch für Heil und Bringer? Jeder spricht über anderes. Es blieb nur übrig, sich dem gesellschaftlichen Gerede zu entziehen. Dem Haus geht außer dem Rauschen nichts verloren. Künste, Wissenschaften, Gärten, was auch immer. Kultur ist nur ein beliebiges Emblem. Was zum Draufpappen, zum Wegschmeißen.
Ist es so schlimm geworden? Gibt es bereits einen Kulturaufkeber, ähnlich wie bei Bio? Geht es letztlich ums Geschäft?
Fast. Drei Ausdrucksweisen seien hervorgehoben. Kultur umfasse alles vom Menschen gemachte, ob seit alters her durch Vernunft, oder neuerdings durch Weitergabe eingegrenzt. Eine andere Richtung ist aus städtischen, bürgerlichen Interessen entstanden. Bezog sich auf Künste und das bürgerliche Engagement. Daraus sind inzwischen Wirtschaftszweige geworden. Aktuell kämpft die Buchbranche ums Überleben, startete eine Reihe von aufwenigen Kampagnen, u.a. mit einem Aufkeber Vorsicht Buch! Speziell eine Weitergabe, ein Lernen, findet allerdings auch unter anderen Tieren statt. Biologen sahen sich ermuntert, in diesen Fällen ebenfalls von Kultur zu sprechen. Es ist ausichtslos. Ein Erkenntnisgewinn ist nicht zu entdecken.
Erwarten Sie nicht zu viel von der Gesellschaft? Erkenntnisgewinn? Wer fragt danach? Wir hätten uns auf eine Seite schlagen müssen. Dies wäre unserem Klinikum nicht bekommen. Und Natur? Assozieren viele Menschen mit einem solchen Wort nicht Sonne, Blümelein, Sumsumsum, oder Baum und Hagel?
Dies ist im Hinblick auf die Umgangssprache tatsächlich ein Problem. Natur ist durch die Wissenschaften ein abstraktes Wort geworden, u.a. durch die methodische Konzentration auf Mathematik. Doch Methoden wurden entwickelt, um etwas zu erfahren, nicht um Gegenstandsbereiche abzugrenzen. Galileos Prosa, Mathematik sei die Sprache der Natur, wirkte nachhaltiger, als es Fragen nach Angemessenheit je vermochten. Wenn ein Gedicht natürlich ist, weil es nicht metaphysisch sein kann, mathematische Berechnungen bei der Analyse jedoch wenig hergeben, warum es nicht mit Sprache versuchen? Sammelbegriffe wie Künste und Wissenschaften sind bereits schwer zu fassen. Aber sie lassen sich jeweils leichter integrieren, als über den Umweg Kultur, diesen verbeulten und kaputten Eimern, die derzeit wie Grale über unansehnliche Baustellen getragen werden.
Müssten die Kulturwissenschaften, wenn sie sich mit allem beschäftigen, was Menschen hervorgebracht haben, nicht auch Fächer wie Mathematik und Musik integrieren? Davon ist im Ruhrgebiet nichts zu sehen! Handelt es sich nicht um die alten Geist- und Sozialwissenschaften, die neu zusammengefasst worden sind?
In Bezug auf die Sortierung gibt es nichts zu verstehen. Der Anreiz kam meines Wissens aus der Politik, die Ausrichtung galt dem Arbeitsmarkt. Ein makaberer Schwindel.
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Donnerstag, 14. August 2014
Siechenhaus (XIV)
mark ammern, 09:49h
XXVII
Veräppeln Sie uns? Vom Liebhaben, vom Schönmachen. Wer interessiert sich für sowas? Die Frage, wann die Demenz im Alltag beginnt, ist für mich viel wichtiger …
Schönmachen interessiert mich durchaus. Ich bin den ganzen Tag damit beschäftigt …
… Da haben Sie viel zu tun …
… Jetzt werden sie aber nicht unverschämt. Vielleicht sollten sie an dieser Online-Gruppe zum Liebhaben teilnehmen. Lernen soll ja lebenslang von Vorteil sein. Na? Ich schreibe übrigens auch, dabei ist ein Schönmachen die Hauptaufgabe. Gucken sie ruhig. Ich bin eine Schriftstellerin!
… Was immer sie auch sind, ich wünsche ihnen von ganzem Herzen viel Erfolg damit. - Aber ich wollte etwas anderes sagen … etwas …
Berücksichtigen Sie bitte, dass nur Fähigkeiten verloren gehen können, die zuvor erworben wurden. Noch ist der Kreis von Personen mit schweren Demenzen relativ klein, wird sich durch die demographische Entwicklung in naher Zukunft aber verdoppeln. Wir haben einige Kostproben angeführt, um bei Ihnen allen einen ersten Eindruck von unserer Arbeit hinterlassen zu können. Beide Traktatthemen entstanden aus Fragen, die den Teilnehmern im Alltag aufkamen. Ein Liebhaben kann innerfamiliär und unter Freunden durchaus von Relevanz sein, und wer nach Schönheit strebt, gleichgültig in Bezug auf was, der wird um ein Schönmachen nicht herumkommen. Bei sogenannten Naturschönheiten entfällt ein Machen, jene sind nicht inbegriffen, als eventuelle Vorlage aber relevant. Ich muss gestehen, dass mich Schönheit gar nicht interessiert. Sie langweilt mich. Aber ich bin keineswegs das Maß der Welt. Wenn eine Therapie gelingen soll, muss ich die unterschiedlichen Menschen ernst nehmen, sie fragen, was ihnen wichtig ist, worauf sie Lust verspüren.
Leiten Sie vielleicht auch solche Therapiegruppen?
Nein nein! Ich gehöre, wie ich eingangs erwähnte, zur Abteilung Öffentlichkeit. Ich stelle Ihnen unser Haus nur vor.
Veräppeln Sie uns? Vom Liebhaben, vom Schönmachen. Wer interessiert sich für sowas? Die Frage, wann die Demenz im Alltag beginnt, ist für mich viel wichtiger …
Schönmachen interessiert mich durchaus. Ich bin den ganzen Tag damit beschäftigt …
… Da haben Sie viel zu tun …
… Jetzt werden sie aber nicht unverschämt. Vielleicht sollten sie an dieser Online-Gruppe zum Liebhaben teilnehmen. Lernen soll ja lebenslang von Vorteil sein. Na? Ich schreibe übrigens auch, dabei ist ein Schönmachen die Hauptaufgabe. Gucken sie ruhig. Ich bin eine Schriftstellerin!
… Was immer sie auch sind, ich wünsche ihnen von ganzem Herzen viel Erfolg damit. - Aber ich wollte etwas anderes sagen … etwas …
Berücksichtigen Sie bitte, dass nur Fähigkeiten verloren gehen können, die zuvor erworben wurden. Noch ist der Kreis von Personen mit schweren Demenzen relativ klein, wird sich durch die demographische Entwicklung in naher Zukunft aber verdoppeln. Wir haben einige Kostproben angeführt, um bei Ihnen allen einen ersten Eindruck von unserer Arbeit hinterlassen zu können. Beide Traktatthemen entstanden aus Fragen, die den Teilnehmern im Alltag aufkamen. Ein Liebhaben kann innerfamiliär und unter Freunden durchaus von Relevanz sein, und wer nach Schönheit strebt, gleichgültig in Bezug auf was, der wird um ein Schönmachen nicht herumkommen. Bei sogenannten Naturschönheiten entfällt ein Machen, jene sind nicht inbegriffen, als eventuelle Vorlage aber relevant. Ich muss gestehen, dass mich Schönheit gar nicht interessiert. Sie langweilt mich. Aber ich bin keineswegs das Maß der Welt. Wenn eine Therapie gelingen soll, muss ich die unterschiedlichen Menschen ernst nehmen, sie fragen, was ihnen wichtig ist, worauf sie Lust verspüren.
Leiten Sie vielleicht auch solche Therapiegruppen?
Nein nein! Ich gehöre, wie ich eingangs erwähnte, zur Abteilung Öffentlichkeit. Ich stelle Ihnen unser Haus nur vor.
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Mittwoch, 13. August 2014
Siechenhaus (XIII)
mark ammern, 09:31h
XXIV
… Lieben Dank für die nette Unterstützung, aber können Sie den Vorhang aufziehen? Dies war ein Test. Wir hatten zu prüfen, ob die Verdunkelung für die Projektion ausreicht. Konnten Sie alle etwas sehen? Ja? Wunderbar! Ich warte noch auf eine telefonische Rückmeldung aus der Knochenstation. - Aahh, da sind ja beide. Und Sie können sogar gehen!
Wie ungeschickt, und rabiat. Erst fällt er, dann schlägt er um sich. Hab ich ein blaues Auge? Aber er hat sich ja selber wehgetan. Sie setzen sich nicht neben mich! Haben sie gehört?
Ich kann mich bloß nochmals entschuldigen. Bin abgerutscht. Ich versteh das selber nicht. Es tut mir sehr leid.
Der Schrecken war größer als die Verletzungen. Wir humpeln zwar beide etwas, doch gebrochen ist nichts. Haben sie noch Sitzplätze für uns, am besten an verschiedenen Seiten?
XXV
Uns fehlt leider ein Medienzentrum, ebenso ein bequemer Kinosaal. Wenn unser Alten- und Pflegeheim genehmigt und errichtet ist, vielleicht können wir Ihnen den gesamten Komplex in einem Film präsentieren. Und Sie hätten es gemütlich wie zu Hause, wären aber in Gesellschaft. Bis dahin müssen Sie jedoch, nach dem heutigen Unfall, mit unseren Dias Vorlieb nehmen. Wir sind bislang nur ein Klinikum.
Eine Neuropsychiatrie wurde eingerichtet, um klären zu können, ob kognitive Beschwerden physische oder psychische Bedingungen haben. Dies lässt sich von außen nicht abschätzen, ist jedoch die Voraussetzung für mögliche Behandlungen. Typisch fürs Alter sind physisch bedingte Ablagerungen oder Durchblutungstörungen im Gehirn und psychisch bedingte Depressionen.
Als überregional renomiertes Demenzentrum untersuchen wir hier in Duisburg auch besonders schwere Fälle. Die Station kann deshalb nur abgeriegelt betrieben werden. Die Belastung wäre für andere Stationen durch Gedächtnisverluste von Patienten oder krasse Stimmungwechsel zu groß. Patienten, die in OP-Säle eindringen, um ihre Brille zu suchen, oder einen Freund aus Jugendzeiten, der sich dort versteckt habe, die im Flur einen Strip-Tease veranstalten, wie an einem FKK-Strand, oder Leute mit den Worten anfahren, sie hab ich schon mal gesehen, sie Schuft, sind im Betrieb wenig hilfreich. Ich warne jedoch vor Kurzschlüssen. Bekanntheitgrad und Renommee geben keine Auskünfte über Qualität! Eine solche wäre durch Autorität oder Marketingfloskeln gar nicht vermittelbar. Ich betone diesen eventuell unscheinbaren Unterschied, weil er in eine Demenz hineinreicht, die alltäglich ist. - Sie machen uns auf einige weitere Beispiele aufmerksam?
Gerne. Demenz beginnt mit kognitiven Beeinträchtigungen, die sich auf alle Lebensbereiche erstrecken können. Dazu gehören Verwechslungen von Imaginärem und Wirklichem. Imaginäres wie einen Traum wirklich werden zu lassen, ist aus logischer Sicht nicht möglich, auch gar nicht erforderlich, weil Imaginäres, als Imaginäres, längst wirklich wäre. Oder eine Verwechslung von Sprache und Gegenstand: Dass sich eine Idee bzw. ein Begriff verkörpert, klingt vielleicht für manche Assoziation angenehm fließend, wäre jedoch gleichfalls, ohne weitere Zusatzannahmen, verfehlt. Bestenfalls ließe sich fragen, was geraucht wurde. Wenn einfache Differenzierungen entfallen, hat eventuell eine Demenz Einzug gehalten. Zu berücksichtigen wäre, ob relevante Fähigkeiten zuvor erworben wurden.
Danke. Die Alltagerfahrungen dienen als Ausgang für unsere Demenzstudien. Lediglich nach anerkannten Krankheitbildern vorzugehen, wäre uns in der Forschung zu wenig. Uns interessieren graduelle Veränderungen, die vom Alltag bis in ein Stadium reichen, in dem eine Teilnahme an diesem ohne aufwendige Pflege nicht mehr leistbar ist. Ebenso eine gesellschaftliche Zukunft, die durch Demenz gepägt sein wird, ob in Wirtschaft oder Politik.
XXVI
Spannender als unsere Forschungen könnten für Sie eventuell Projekte sein, die von Patienten durchgeführt werden. Leichte Formen von Demenz behindern im Alltag kaum. Auch entwickeln wir Therapien, mit denen sich der Hirnverfall verlangsamen lässt. Patienten bildeten Gruppen, die sogar in sozialen Netzwerken, z.B. bei Facebook aktiv sind. Dort können sie weiter teilnehmen, auch wenn sie nicht mehr im Haus weilen. Sie forschen und schreiben gemeinsam über Themen, die sie ihrer Ansicht nach direkter betreffen. Es entsteht meines Wissens nach ein Traktat vom Liebhaben, in dem ethische Fragen behandelt werden, ebenfalls ein Traktat vom Schönmachen, der ästhetischen Ansprüchen gewidmet ist. Die Zellen zu fordern, ist ein wichtiger Schritt, dem grauenden Alltag entgegenzuwirken.
… Lieben Dank für die nette Unterstützung, aber können Sie den Vorhang aufziehen? Dies war ein Test. Wir hatten zu prüfen, ob die Verdunkelung für die Projektion ausreicht. Konnten Sie alle etwas sehen? Ja? Wunderbar! Ich warte noch auf eine telefonische Rückmeldung aus der Knochenstation. - Aahh, da sind ja beide. Und Sie können sogar gehen!
Wie ungeschickt, und rabiat. Erst fällt er, dann schlägt er um sich. Hab ich ein blaues Auge? Aber er hat sich ja selber wehgetan. Sie setzen sich nicht neben mich! Haben sie gehört?
Ich kann mich bloß nochmals entschuldigen. Bin abgerutscht. Ich versteh das selber nicht. Es tut mir sehr leid.
Der Schrecken war größer als die Verletzungen. Wir humpeln zwar beide etwas, doch gebrochen ist nichts. Haben sie noch Sitzplätze für uns, am besten an verschiedenen Seiten?
XXV
Uns fehlt leider ein Medienzentrum, ebenso ein bequemer Kinosaal. Wenn unser Alten- und Pflegeheim genehmigt und errichtet ist, vielleicht können wir Ihnen den gesamten Komplex in einem Film präsentieren. Und Sie hätten es gemütlich wie zu Hause, wären aber in Gesellschaft. Bis dahin müssen Sie jedoch, nach dem heutigen Unfall, mit unseren Dias Vorlieb nehmen. Wir sind bislang nur ein Klinikum.
Eine Neuropsychiatrie wurde eingerichtet, um klären zu können, ob kognitive Beschwerden physische oder psychische Bedingungen haben. Dies lässt sich von außen nicht abschätzen, ist jedoch die Voraussetzung für mögliche Behandlungen. Typisch fürs Alter sind physisch bedingte Ablagerungen oder Durchblutungstörungen im Gehirn und psychisch bedingte Depressionen.
Als überregional renomiertes Demenzentrum untersuchen wir hier in Duisburg auch besonders schwere Fälle. Die Station kann deshalb nur abgeriegelt betrieben werden. Die Belastung wäre für andere Stationen durch Gedächtnisverluste von Patienten oder krasse Stimmungwechsel zu groß. Patienten, die in OP-Säle eindringen, um ihre Brille zu suchen, oder einen Freund aus Jugendzeiten, der sich dort versteckt habe, die im Flur einen Strip-Tease veranstalten, wie an einem FKK-Strand, oder Leute mit den Worten anfahren, sie hab ich schon mal gesehen, sie Schuft, sind im Betrieb wenig hilfreich. Ich warne jedoch vor Kurzschlüssen. Bekanntheitgrad und Renommee geben keine Auskünfte über Qualität! Eine solche wäre durch Autorität oder Marketingfloskeln gar nicht vermittelbar. Ich betone diesen eventuell unscheinbaren Unterschied, weil er in eine Demenz hineinreicht, die alltäglich ist. - Sie machen uns auf einige weitere Beispiele aufmerksam?
Gerne. Demenz beginnt mit kognitiven Beeinträchtigungen, die sich auf alle Lebensbereiche erstrecken können. Dazu gehören Verwechslungen von Imaginärem und Wirklichem. Imaginäres wie einen Traum wirklich werden zu lassen, ist aus logischer Sicht nicht möglich, auch gar nicht erforderlich, weil Imaginäres, als Imaginäres, längst wirklich wäre. Oder eine Verwechslung von Sprache und Gegenstand: Dass sich eine Idee bzw. ein Begriff verkörpert, klingt vielleicht für manche Assoziation angenehm fließend, wäre jedoch gleichfalls, ohne weitere Zusatzannahmen, verfehlt. Bestenfalls ließe sich fragen, was geraucht wurde. Wenn einfache Differenzierungen entfallen, hat eventuell eine Demenz Einzug gehalten. Zu berücksichtigen wäre, ob relevante Fähigkeiten zuvor erworben wurden.
Danke. Die Alltagerfahrungen dienen als Ausgang für unsere Demenzstudien. Lediglich nach anerkannten Krankheitbildern vorzugehen, wäre uns in der Forschung zu wenig. Uns interessieren graduelle Veränderungen, die vom Alltag bis in ein Stadium reichen, in dem eine Teilnahme an diesem ohne aufwendige Pflege nicht mehr leistbar ist. Ebenso eine gesellschaftliche Zukunft, die durch Demenz gepägt sein wird, ob in Wirtschaft oder Politik.
XXVI
Spannender als unsere Forschungen könnten für Sie eventuell Projekte sein, die von Patienten durchgeführt werden. Leichte Formen von Demenz behindern im Alltag kaum. Auch entwickeln wir Therapien, mit denen sich der Hirnverfall verlangsamen lässt. Patienten bildeten Gruppen, die sogar in sozialen Netzwerken, z.B. bei Facebook aktiv sind. Dort können sie weiter teilnehmen, auch wenn sie nicht mehr im Haus weilen. Sie forschen und schreiben gemeinsam über Themen, die sie ihrer Ansicht nach direkter betreffen. Es entsteht meines Wissens nach ein Traktat vom Liebhaben, in dem ethische Fragen behandelt werden, ebenfalls ein Traktat vom Schönmachen, der ästhetischen Ansprüchen gewidmet ist. Die Zellen zu fordern, ist ein wichtiger Schritt, dem grauenden Alltag entgegenzuwirken.
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