Samstag, 16. August 2014
Siechenhaus (XVI)
XXIX

Ich habe ihnen schon misstraut, als wir noch gar nicht in der Klinik waren. Grinsen sie ruhig. Sie sind kein Touristenführer, sie, sie sind ein Terrorist!

Das war zwar eine Bombe, die unter uns eingeschlagen ist, aber … Ich glaube, ich brauche einen frischen Kaffee! … Sie üben doch nicht etwa Zensur aus, oder wie verhindern Sie, dass über Kultur gesprochen wird?

Für eine Diskussion mit unserer Patienten wären solche Worte viel zu allgemein. Wir haben Ihnen lediglich einige Gründe angeführt, weshalb unser Klinikum auf Worte Kultur verzichtet. Die Patienten sprechen über konkrete Dinge und Sachen, auch wenn einmal ein Wort Kultur fällt, über ein Buch, eine Musik oder ein Verhalten, ähnlich wie in Bezug auf Natur. Kultur ist bei uns einfach nicht relevant. - Wie wärs, machen wir eine Kaffeepause?

Aber ihr Berater bringt die ganze Menschheit in Misskredit, ihre historischen Werke, die faszinierende Größe und errungene Identität! Ich weigere mich, Objekt der Zoologie zu werden. Wir haben Pyramiden gebaut, New York erschaffen, Opern komponiert und Romane geschrieben. Wir sind Hoch-, ja sogar Hochkultur!

Ist von Zoologie gesprochen worden? Unser Klinikum käme ohne Verfahren gar nicht aus, die traditionell als naturwissenschaftliche gelten. Wir könnten Sie im Krankheitfall gar nicht behandeln, würden sie sich solchen Verfahren entziehen wollen. Ihnen bliebe lediglich eine Heiler-Esoterik offen. - Wir machen besser erst einmal Kaffeepause!

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Freitag, 15. August 2014
Siechenhaus (XV)
XXVIII

Können Sie uns erläutern, weshalb es in unserem Klinikum zwar Gespräche über Schönheiten und Langeweilen, jedoch nicht über Kultur gibt? Was hat uns veranlasst, sie auszusperren? Wird nicht vielerort über Kultur geredet, bei der UNESCO, in Wirtschaftkreisen, in Universitätseminaren und auf Veranstaltungen von Provinznestern? Kultur ist zu einem Heilbringer geworden, nur bei uns nicht!

Es gibt sie gar nicht, die Kultur. Ist dies nicht typisch für Heil und Bringer? Jeder spricht über anderes. Es blieb nur übrig, sich dem gesellschaftlichen Gerede zu entziehen. Dem Haus geht außer dem Rauschen nichts verloren. Künste, Wissenschaften, Gärten, was auch immer. Kultur ist nur ein beliebiges Emblem. Was zum Draufpappen, zum Wegschmeißen.

Ist es so schlimm geworden? Gibt es bereits einen Kulturaufkeber, ähnlich wie bei Bio? Geht es letztlich ums Geschäft?

Fast. Drei Ausdrucksweisen seien hervorgehoben. Kultur umfasse alles vom Menschen gemachte, ob seit alters her durch Vernunft, oder neuerdings durch Weitergabe eingegrenzt. Eine andere Richtung ist aus städtischen, bürgerlichen Interessen entstanden. Bezog sich auf Künste und das bürgerliche Engagement. Daraus sind inzwischen Wirtschaftszweige geworden. Aktuell kämpft die Buchbranche ums Überleben, startete eine Reihe von aufwenigen Kampagnen, u.a. mit einem Aufkeber Vorsicht Buch! Speziell eine Weitergabe, ein Lernen, findet allerdings auch unter anderen Tieren statt. Biologen sahen sich ermuntert, in diesen Fällen ebenfalls von Kultur zu sprechen. Es ist ausichtslos. Ein Erkenntnisgewinn ist nicht zu entdecken.

Erwarten Sie nicht zu viel von der Gesellschaft? Erkenntnisgewinn? Wer fragt danach? Wir hätten uns auf eine Seite schlagen müssen. Dies wäre unserem Klinikum nicht bekommen. Und Natur? Assozieren viele Menschen mit einem solchen Wort nicht Sonne, Blümelein, Sumsumsum, oder Baum und Hagel?

Dies ist im Hinblick auf die Umgangssprache tatsächlich ein Problem. Natur ist durch die Wissenschaften ein abstraktes Wort geworden, u.a. durch die methodische Konzentration auf Mathematik. Doch Methoden wurden entwickelt, um etwas zu erfahren, nicht um Gegenstandsbereiche abzugrenzen. Galileos Prosa, Mathematik sei die Sprache der Natur, wirkte nachhaltiger, als es Fragen nach Angemessenheit je vermochten. Wenn ein Gedicht natürlich ist, weil es nicht metaphysisch sein kann, mathematische Berechnungen bei der Analyse jedoch wenig hergeben, warum es nicht mit Sprache versuchen? Sammelbegriffe wie Künste und Wissenschaften sind bereits schwer zu fassen. Aber sie lassen sich jeweils leichter integrieren, als über den Umweg Kultur, diesen verbeulten und kaputten Eimern, die derzeit wie Grale über un­an­sehn­liche Baustellen getragen werden.

Müssten die Kulturwissenschaften, wenn sie sich mit allem beschäftigen, was Menschen hervorgebracht haben, nicht auch Fächer wie Mathematik und Musik integrieren? Davon ist im Ruhrgebiet nichts zu sehen! Handelt es sich nicht um die alten Geist- und Sozialwissenschaften, die neu zusammengefasst worden sind?

In Bezug auf die Sortierung gibt es nichts zu verstehen. Der Anreiz kam meines Wissens aus der Politik, die Ausrichtung galt dem Arbeitsmarkt. Ein makaberer Schwindel.

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Donnerstag, 14. August 2014
Siechenhaus (XIV)
XXVII

Veräppeln Sie uns? Vom Liebhaben, vom Schönmachen. Wer interessiert sich für sowas? Die Frage, wann die Demenz im Alltag beginnt, ist für mich viel wichtiger …

Schönmachen interessiert mich durchaus. Ich bin den ganzen Tag damit beschäftigt …

… Da haben Sie viel zu tun …

… Jetzt werden sie aber nicht unverschämt. Vielleicht sollten sie an dieser Online-Gruppe zum Liebhaben teilnehmen. Lernen soll ja lebenslang von Vorteil sein. Na? Ich schreibe übrigens auch, dabei ist ein Schönmachen die Hauptaufgabe. Gucken sie ruhig. Ich bin eine Schriftstellerin!

… Was immer sie auch sind, ich wünsche ihnen von ganzem Herzen viel Erfolg damit. - Aber ich wollte etwas anderes sagen … etwas …

Berücksichtigen Sie bitte, dass nur Fähigkeiten verloren gehen können, die zuvor erworben wurden. Noch ist der Kreis von Personen mit schweren Demenzen relativ klein, wird sich durch die demographische Entwicklung in naher Zukunft aber verdoppeln. Wir haben einige Kostproben angeführt, um bei Ihnen allen einen ersten Eindruck von unserer Arbeit hinterlassen zu können. Beide Traktatthemen entstanden aus Fragen, die den Teilnehmern im Alltag aufkamen. Ein Liebhaben kann innerfamiliär und unter Freunden durchaus von Relevanz sein, und wer nach Schönheit strebt, gleichgültig in Bezug auf was, der wird um ein Schönmachen nicht herumkommen. Bei sogenannten Naturschönheiten entfällt ein Machen, jene sind nicht inbegriffen, als eventuelle Vorlage aber relevant. Ich muss gestehen, dass mich Schönheit gar nicht interessiert. Sie langweilt mich. Aber ich bin keineswegs das Maß der Welt. Wenn eine Therapie gelingen soll, muss ich die unterschiedlichen Menschen ernst nehmen, sie fragen, was ihnen wichtig ist, worauf sie Lust verspüren.

Leiten Sie vielleicht auch solche Therapiegruppen?

Nein nein! Ich gehöre, wie ich eingangs erwähnte, zur Abteilung Öffentlichkeit. Ich stelle Ihnen unser Haus nur vor.

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