Samstag, 18. Juli 2015
„Storming“ - Szene 7 - Gespräch - Teile 1-2
Ausstattung: Tisch, 4 Stühle, 4 Gläser, einige Flaschen, schwarz ausgehangen
Beteiligte: Personen 1-4


1/
[Alle sitzen am Tisch, nach einem kurzen Schweigen]

Person 3 (männlich):
Das Mittelalter hat deutliche Spuren hinterlassen. Die Berufsordnungen, die Vereinigungen und Reglements. Die vielfältigen hierarchischen Ordnungen; eine Funk- als auch Sanktionsversessenheit. Und nun auch eine öffentliche Präsenz des Todes?

Person 4 (männlich):
Assoziativ sowieso. Betrachte doch die Altersentwicklung in der Gesellschaft. Irgendwann sieht man halt aus wie tot. Das ist unvermeidlich. Bis heute fehlt sehr weitgehend ein Naturverständnis.

Person 2 (weiblich):
[Gelangweilt:] Das ist doch Teil der Egomanie: Sich der Natur gegenüberzustellen, ist so ziemlich der größte Wahn, der von Primaten ausgelebt wurde und wird. Vielleicht blieb deshalb Tod ein schauriges Rätsel, ein ‚mysterium tremendum‘. Will man nicht zur Natur gehören, bliebe nur die Metaphysik. Dass das nicht klappt, ist leicht in beliebigen Spiegeln und auf Hirnscans zu sehen.

Person 1 (männlich):
Versuche das mal Kulturleuten begreiflich zu machen. Sie verwerfen eher die Logik, als einzugestehen, dass sich Worte ‚Natur‘ und ‚Kultur‘ nicht ausschließen können. Dieses ganze Kulturgesülze - hört das denn nie auf -, ein primativer Wahn [er grinst].

Person 3 (männlich):
Pri-ma-tiv? [Er lächelt.] - Würde sich denn etwas ändern, wenn Kulturelles natürlich wäre?

Person 2 (weiblich):
Natürlich ist es doch! Es gäbe keine andere Möglichkeit. Zu fragen wäre, was geschähe, falls dies begriffen würde!

Person 1 (männlich):
Keine Chance!

Person 4 (männlich):
Man hätte es gesellschaftlich einfach mit verschiedenen Sammelbegriffen zu tun, die unterschiedlich plausibel abgegrenzt sein können, aber in allen Fällen leicht entbehrlich wären. Niemand bräuchte ‚Kultur‘, um zum Beispiel über Künste sprechen zu können. Das antike Griechenland kannte ‚Kultur‘ überhaupt nicht. Die Lateiner bezogen sich bis weit ins Mittelalter auf ihre Äcker, metaphorisch allenfalls auf das spezifische Bildungspensum ihrer jungen, zumeist hochgestellten Eliten. Wollte man ein Bild über die alten Verhältnisse erkiesen … ja … ja … wie wärs mit einem dampfenden Ochsen!? [Er grinst.]

[Schweigen]

Person 3 (männlich):
Wenn aber in den Künsten die Vokabeln ‚Kultur‘ verzichtbar sind, weshalb könnten solche Lautkomplexe wichtig sein? Ist es nicht erstaunlich, dass die Bürgerlichen zumindest kulturell sein
wollten, wenn es für eine Begabung nicht reichte?

Person 2 (weiblich):
Da sagst du was. Keine Ahnung von künstlerischen Prozessen haben, doch richten wollen, welche Prozesse und Ergebnisse gut oder akzeptabel seien, mit Vorliebe im Kontext von aufgebahrten Traditionen, besonders gegenüber der Literatur. Aber diese Einsicht über ein ehemaliges bürgerliches Engagement ist doch auch bereits uralt. Der Stumpfsinn gefällt sich in der Ausübung von Deutung und Herrschaft.
Auch deshalb, gegen diese Tendenz, bildete sich doch eine Kulturwissenschaft aus, die sich nicht bloß auf Künste, sondern auf alles menschliche Tun bezieht - und keine fassliche Abgrenzung zum Tierreich findet. Kriterien wie Lernen und Weitergabe sind nicht nur im Hinblick auf Menschen relevant. ‚Kultur‘ ist phonetisch aufgeblasen, bloß ein bunter Luftballon, den jedes Kind zum Platzen bringen kann.

Person 1 (männlich):
Oder ein manisches, widerliches Etwas! [Er schüttelt sich.]


2/
Ausstattung: Tisch, 4 Stühle, 4 Gläser, einige Flaschen, schwarz ausgehangen
Beteiligte: Personen 1-4


[Alle sitzen am Tisch, nach einem kurzen Schweigen]

Person 4 (männlich):
Sind wir durch? Das Ergebnis ist doch mehr als bescheiden. Und nun? Warum sitzen wir noch hier? Was hält uns in den menschlichen Gesellschaften? Lasst uns weiterziehen. Es gibt einfach keine Hinweise, nicht einmal Anzeichen, dass sich eine andere Entwicklung als eine technische vollzogen hat noch vollziehen könnte. Das intellektuelle Niveau ist weiterhin steinzeitlich.

Person 3 (männlich):
Es gibt eine spannende biologische Hypothese über die Entwicklung der menschlichen Gehirne. Die Größe, auf die man unter Menschen in der Regel besonders stolz ist, wuchs nach und mit der Nutzung des Feuers, dem Zuführen bis dahin unzugänglicher Energie durch Kochen der Nahrung. Das Auffallenste an menschlichen Hirnen ist der enorme Energiebedarf. Und die entstandenen Wülste absorbieren den Überfluss. Ballone, angefüllt mit heißer Luft.

Person 2 (weiblich):
Ein Scherz?

Person 3 (männlich):
Wer weiß?

Person 2 (weiblich):
Seit einigen Jahrzehnten ist in sozialen Zusammenhängen ein Gerede über Evolution forciert worden: Ein typisches asprachliches Vorgehen, das sich an der Ausbildung von simplen Verallgemeinerungen und deren ausgedünnten Bedeutungen ergötzt. Doch sprachlich ist neben der
biologischen Wortbildung eine Metapher entstanden, die sich auf Soziales bezieht, als Fachbegriff missverstanden wird und erlaubt, unliebsames Leben sozial uszuscheiden. So einen Wahnsinn kann man auf der Zunge zerrinnen lassen.

Person 1 (männlich):
Als Nachtisch?! - Also ich will weg! Möglichst schnell!

[Schweigen]

Person 3 (männlich):
Wissen wollte ich, als ich euch zu diesem Treffen lud, ob wir etwas tun können, angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen. Dass ein Abhauen möglich ist, das war mir schon vorher klar.

[Schweigen]


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Hier geht es zur Szene 8: https://markammern.blogger.de/stories/2518395/

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