Sonntag, 3. August 2014
Siechenhaus (Teil IV)
VII

Ich habe gut reden, nicht wahr? Als ihr Touristenführer, der aus beruflichen Gründen nicht viel wissen darf, breit ich ne Menge Siff aus. Dies ist eine der letzten Eckkneipen in Hochfeld. Nur Flaschenbier. Keine Leitung in den Keller. Und die Theke bleibt trocken, so lange niemand draufkotzt. Wie sie an den Postern und Plakaten des MSV sehen können, eine bekennende Fußballleidenschaft der jungen Betreiber. Öffnet erst am späten Nachmittag, ein- zweimal die Woche. Und lässt auch bekennende Fußballignoranten hinein, wie mich.

Das Siechenhaus liegt auf der anderen Seite der Hauptstraße. Vielleicht ahnen sie bereits, um was es sich handeln könnte. Bevor ich ihnen jedoch das Gebäude präsentiere, ist konkreter auf Sprache einzugehen. Seit einigen Jahrzehnten ist sie fast unerheblich geworden. Nicht weil sich junge Leute in ihr austoben, Linguisten Schwierigkeiten haben, den Schöpfungen nachzukommen, sich Lehrer verbittert über eine Rechtsschreibschwäche ihrer Schüler äußern.

Ich frage sie erst gar nicht, was ihrer Meinung nach Sprache ausmacht, die übliche Antwort wäre, dass Sprache im Grunde nichts sei, aber zu etwas dienen könne, besonders zur Kommunikation. Diese Ansicht ist nicht nur unter den meisten Leuten verbreitet, sondern wird auch durch Theorien aufbereitet, deren Urheber keinerlei Interesse an Sprache bekundeten. Dies ist leicht zu erkennen, bereits durch den Themenwechsel, das Ausweichen, das Unverständnis.

Vielleicht war es elegant, den Konstruktivismus durch eine Sprachtheorie zu bereichern, in der es nicht um Sprache, sondern um Kommunikation ging. Dieses Vorgehen hatte einen kybernetischen Grund: Nicht Worte, sondern Zeichen wurden herangezogen. Zeichen gibt es durchaus, z.B. in der Mathematik, dort haben sie auch Bedeutungen, es wäre jedoch aussichtlos, Bezüge unterstellen oder bilden zu wollen. Was lag näher, als diese kommunikativ zu unterschlagen? Die Unangemessenheit führte jedoch dazu, über nichts sprechen zu können, nicht einmal über Sprache! Nur Geplauder und Gesabber. Verstehen sie? Es ist leicht geworden, in einer Straßenbahn vor lauter Schleim und Blasen rettungslos zu ersaufen. Später wurde angeboten: Alles sei Kommunikation! Ja, warum nicht eine Sintflut?


VIII

Warum fällt es schwer, über Sprache zu sprechen? Weil uns, aufgrund der Schulzeit, kaum mehr einfällt als das Regelwerk und die Lexika von Linguisten, die aus der Sprache eine Jurisprudenz mit zahllosen Rechtsfällen werden ließen? Ist Sprache vielleicht zum Traktieren da?

Kultur, ich weiß, die hat mir gerade noch gefehlt! Kultur schafft eine mehr oder weniger idyllische Ordnung, besonders gegenüber der Natur, nicht wahr? Doch sind Beton und Glas metaphysisch, oder auf andere Weise der Schwerkraft entzogen? Und sind sie nicht entstanden, ein kausales Resultat? Was sind das für sonderbare Blasen, Kultur, Natur, die nichts verstehen lassen, nichts als die menschliche Unbeholfenheit in Zeiten der neolithischen Revolution? Der Jungsteinzeit! Hat denn niemand Lust, sich weiterzuentwickeln? Der Gestank eurer alten Felle ist doch kaum noch zu ertragen, auch falls ihr einräumen würdet, die von Insekten zerfressenen Umhänge seien eventuell Bestandteil der Natur.

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