Sonntag, 10. August 2014
Siechenhaus (X)
XVIII

Habe ich Sie erschlagen? Sie dürfen gerne Fragen stellen oder Anmerkungen machen.

Ja nee. Was Sie vorstellen, klingt irgendwie parallel. Die Realität sieht doch ganz anders aus, also die normale. Ich verstehe das nicht. Man muss doch die Menschen mit der Wahrheit konfrontieren. Sie können doch nicht einfach die Insassen, also die Patienten auf Tournee schicken. Das ist doch völlig absurd. Hat denn hier niemand Würde?

Mit welcher Wahrheit?

Wahrheit? Na mit dem Tod!

Gibt es den? Was ist für Sie Tod?

Jetzt wundere ich mich aber. Sie haben doch selber über den Tod gesprochen. Er ist doch eine Tatsache. Ich frage Sie, was kommt denn Ihrer Ansicht nach nach dem Tod?

Die Beerdigung.

Sonst nichts? Ich meine den Tod, diese Auslöschung, dieses Nichtsein, sowas muss man doch ernst nehmen. Diesen Blick in die furchtbare Leere. Den gilt es doch auszuhalten, damit muss man sich doch auseinandersetzen. Das ist doch ein Schrecken!

Glauben Sie?

Woran?

An den Schrecken.

Hhaaaa, ich blicke nicht mehr durch.

Das Wort Tournee wurde von einer ehemaligen Tänzerin eingeführt, mit leiser feiner Stimme, als sie zu einer Spezialbehandlung nach Düsseldorf aufbrechen musste. Einige Wochen später nutze es ein Rockopa. Ihn, glaube ich, hat man bis in den Himmel gehört. Seitdem zählt es zum Wortschatz vieler unserer Patienten und wird in der Regel mit einem Lächeln geäußert. Die meisten Menschen sind in einer Konzert- und Fanwelt aufgewachsen. Nun, im Alter, gehen Sie mit rosa Wangen selber auf Tournee. Was ließe sich dagegen sagen?

Und nach der Beerdingung, was kommt dann? Ich finde, dass mein Vorredner nicht ganz unrecht hat. Der Tod ist doch wie ein großes schwarzes Loch. Wenn ich da reinfalle, weiß ich nicht, was dann passiert. Das macht doch den tiefen Ernst aus.

Die Verwesung.

Was? Verwesung? Was soll das bedeuten? Leugnen sie den Tod?

Entschuldigung, wenn ich eingreife, aber sie beide verwechseln etwas. Das einzige Sein, auf das sich Worte Tod beziehen könnten, wäre ein Lebensende. Lassen sie sich von der Sprache keinen Bären aufbinden, kein Ungeheuer mit bleckenden Zähnen und rollenden, rotunterlaufenen Augen. Zu glauben, bleibt ihnen weiterhin frei, aber bitte nicht an eine solche Bestie.

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