Samstag, 9. August 2014
Siechenhaus (Teil IX)
XVI

… Hallo! Möchten Sie mit uns ein Stockwerk höher steigen? Wir wollen zu den Innereien. Sie starren dort auf die Akazie. Es handelt sich übrigens um ein Mimosengewächs, wie man mir bereitwillig erläuterte.

Ich weiß gar nicht wo ich war. Ich glaub, ich hab den Siechenwind gespürt.

Vielleicht waren Sie im Himmel?

Ich steige ihnen wirklich sehr gerne nach!

Ich brauche sie noch, wie Sie wissen. - So, auf gehts! Bitte folgen Sie mir alle. Die Station, die uns erwartet, ist die der Inneren Medizin. Und Vorsicht, auch dort gibt es oben eine Schranke.


XVII

Nicht nur Knochen und Gelenke, auch Herz, Kreislauf und Blutgefäße altern. Herzinfakte und Schlaganfälle können resultieren, dies sogar jeweils mehrfach. Und bei nicht wenigen unserer Patienten sind auch die Augen betroffen. Unsere Station für Ophthalmologie wurde ebenfalls hier untergebracht. Der graue Star ist eine typische Altererkrankung, die mit einer Linsentrübung einhergeht. Dies hat nichts mit Halloween zu tun. Der geäußerten Bitte eines jungen Besuchers, der Oma doch bitte die Kontaktlinsen zu entnehmen, konnten wir leider nicht entsprechen. Schwierigkeiten mit den Augen können jedoch auch durch andere Erkrankungen entstehen, z.B. durch Diabetes.

Die altersbedingte innere Medizin hat derart viele Fachgebiete, dass wir sie gar nicht alle berücksichtigen können. Das Haus ist zu klein. Unter Umständen müssen Patienten in andere Häuser verlegt werden, damit eine Spezialbehandlung erfolgen kann. Bei uns hat sich der Begriff Tournee herausgebildet, um den besonderen Aufwand etwas zu entlasten. Nicht alle Patienten kehren zurück.

Der Tod ist in einem Haus wie diesem allgegenwärtig, ebenso die Gefahr, ihn nur als physiologisches und technisch messbares Ereignis wahrzunehmen, um Distanz zu ermöglichen, nicht erfasst und als Happen verschlungen zu werden. Die Besonderheit unseres Hauses ist, Sterben als Lebenereignis zuzulassen und den Tod als -ende zu akzeptieren. Die ist keineswegs leicht. Nicht wenigen Menschen, vor allem Besuchern, kräuseln sich die Nackenhaare und laufen Schauer den Rücken hinab, sobald auch nur ein Wort Tod fällt. Hinzukommt die emotionale Betroffenheit, jemanden aus dem engeren Umfeld zu verlieren. Eine solche Erregung kann sogar zu einer Schnappatmung und Herzattacke führen, Ereignisse, die eventuell erst im eigenen Todkampf enden. Trauergespräche gehören deshalb von Beginn an zu unserem Angebot.

Es gab sogar die Idee, von einigen unserer Patienten, die eine Arbeitgruppe gebildet hatten, den Oberbürgermeister zu einem Trauergespräch einzuladen. Leider gibt es bislang aus dem Rathaus keine Reaktion. Anlass war nicht die Love-Parade-Katastrophe oder eine der vielen Haushaltsperren, sondern sein Einspruch gegen eine Installation, die bereits monatelang mit dem Künstler, dem hiesigen Museum und dem Bauamt entwickelt worden war. Ein Akt, wie beim Ausknipsen eines Lungeautomaten. Es fiel sogar das Wort Euthanasie. Ich glaube, ich sagte bereits, dass unsere Patienten nicht an mangelndem Selbstbewusstsein leiden?

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