Mittwoch, 13. August 2014
Siechenhaus (XIII)
XXIV

… Lieben Dank für die nette Unterstützung, aber können Sie den Vorhang aufziehen? Dies war ein Test. Wir hatten zu prüfen, ob die Verdunkelung für die Projektion ausreicht. Konnten Sie alle etwas sehen? Ja? Wunderbar! Ich warte noch auf eine telefonische Rückmeldung aus der Knochenstation. - Aahh, da sind ja beide. Und Sie können sogar gehen!

Wie ungeschickt, und rabiat. Erst fällt er, dann schlägt er um sich. Hab ich ein blaues Auge? Aber er hat sich ja selber wehgetan. Sie setzen sich nicht neben mich! Haben sie gehört?

Ich kann mich bloß nochmals entschuldigen. Bin abgerutscht. Ich versteh das selber nicht. Es tut mir sehr leid.

Der Schrecken war größer als die Verletzungen. Wir humpeln zwar beide etwas, doch gebrochen ist nichts. Haben sie noch Sitzplätze für uns, am besten an verschiedenen Seiten?


XXV

Uns fehlt leider ein Medienzentrum, ebenso ein bequemer Kinosaal. Wenn unser Alten- und Pflegeheim genehmigt und errichtet ist, vielleicht können wir Ihnen den gesamten Komplex in einem Film präsentieren. Und Sie hätten es gemütlich wie zu Hause, wären aber in Gesellschaft. Bis dahin müssen Sie jedoch, nach dem heutigen Unfall, mit unseren Dias Vorlieb nehmen. Wir sind bislang nur ein Klinikum.

Eine Neuropsychiatrie wurde eingerichtet, um klären zu können, ob kognitive Beschwerden physische oder psychische Bedingungen haben. Dies lässt sich von außen nicht abschätzen, ist jedoch die Voraussetzung für mögliche Behandlungen. Typisch fürs Alter sind physisch bedingte Ablagerungen oder Durchblutungstörungen im Gehirn und psychisch bedingte Depressionen.

Als überregional renomiertes Demenzentrum untersuchen wir hier in Duisburg auch besonders schwere Fälle. Die Station kann deshalb nur abgeriegelt betrieben werden. Die Belastung wäre für andere Stationen durch Gedächtnisverluste von Patienten oder krasse Stimmungwechsel zu groß. Patienten, die in OP-Säle eindringen, um ihre Brille zu suchen, oder einen Freund aus Jugendzeiten, der sich dort versteckt habe, die im Flur einen Strip-Tease veranstalten, wie an einem FKK-Strand, oder Leute mit den Worten anfahren, sie hab ich schon mal gesehen, sie Schuft, sind im Betrieb wenig hilfreich. Ich warne jedoch vor Kurzschlüssen. Bekanntheitgrad und Renommee geben keine Auskünfte über Qualität! Eine solche wäre durch Autorität oder Marketingfloskeln gar nicht vermittelbar. Ich betone diesen eventuell unscheinbaren Unterschied, weil er in eine Demenz hineinreicht, die alltäglich ist. - Sie machen uns auf einige weitere Beispiele aufmerksam?

Gerne. Demenz beginnt mit kognitiven Beeinträchtigungen, die sich auf alle Lebensbereiche erstrecken können. Dazu gehören Verwechslungen von Imaginärem und Wirklichem. Imaginäres wie einen Traum wirklich werden zu lassen, ist aus logischer Sicht nicht möglich, auch gar nicht erforderlich, weil Imaginäres, als Imaginäres, längst wirklich wäre. Oder eine Verwechslung von Sprache und Gegenstand: Dass sich eine Idee bzw. ein Begriff verkörpert, klingt vielleicht für manche Assoziation angenehm fließend, wäre jedoch gleichfalls, ohne weitere Zusatzannahmen, verfehlt. Bestenfalls ließe sich fragen, was geraucht wurde. Wenn einfache Differenzierungen entfallen, hat eventuell eine Demenz Einzug gehalten. Zu berücksichtigen wäre, ob relevante Fähigkeiten zuvor erworben wurden.

Danke. Die Alltagerfahrungen dienen als Ausgang für unsere Demenzstudien. Lediglich nach anerkannten Krankheitbildern vorzugehen, wäre uns in der Forschung zu wenig. Uns interessieren graduelle Veränderungen, die vom Alltag bis in ein Stadium reichen, in dem eine Teilnahme an diesem ohne aufwendige Pflege nicht mehr leistbar ist. Ebenso eine gesellschaftliche Zukunft, die durch Demenz gepägt sein wird, ob in Wirtschaft oder Politik.


XXVI

Spannender als unsere Forschungen könnten für Sie eventuell Projekte sein, die von Patienten durchgeführt werden. Leichte Formen von Demenz behindern im Alltag kaum. Auch entwickeln wir Therapien, mit denen sich der Hirnverfall verlangsamen lässt. Patienten bildeten Gruppen, die sogar in sozialen Netzwerken, z.B. bei Facebook aktiv sind. Dort können sie weiter teilnehmen, auch wenn sie nicht mehr im Haus weilen. Sie forschen und schreiben gemeinsam über Themen, die sie ihrer Ansicht nach direkter betreffen. Es entsteht meines Wissens nach ein Traktat vom Liebhaben, in dem ethische Fragen behandelt werden, ebenfalls ein Traktat vom Schönmachen, der ästhetischen Ansprüchen gewidmet ist. Die Zellen zu fordern, ist ein wichtiger Schritt, dem grauenden Alltag entgegenzuwirken.

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