Dienstag, 5. August 2014
Siechenhaus (Teil V)
IX

Ich darf Sie herzlich in unserem Gerontologischen Klinikum begrüßen. Die Sonne scheint freundlich durch die großen Fenster der Einganghalle und lässt uns einen hellen Blick in Ihre Zukunft werfen. Ältere Mitbürger sind in unserer Gesellschaft seit Längerem keine Ausnahmen mehr. Und dieser Prozess kann sich noch verstärken. 2060 wird es, einer Berechnung des Statistischen Bundesamts nach, in Deutschland eine geringere Bevölkerungdichte geben, ceteris paribus, als nach dem Zweiten Weltkrieg. Und fast alle werden Greise sein. Wir haben uns entschlossen, diese demografische Entwicklung aktiv zu begleiten, soweit die gesetzlichen Vorgaben dies zulassen werden.

Wenn Sie vorgesorgt haben, geben Sie uns die Möglichkeit, auch Sie zu einzubeziehen. Sogar eine Mitbestimmung haben wir angelegt. Ein Ältestenrat beteiligt sich an unserem Engagement. Leider fällt es diesem Personenkreis etwas schwer, sich an die Rolle zu gewöhnen. Ein typisches Krankheitbild wie Demenz schränkt die Entscheidung- und Handlungkompetenz ein. Aber die Patienten finden auf allen Etagen bereitwillige Helfer, die unterstützen. Wir sind übrigens vielsprachig. Wenn Ihnen die Viet-Muong-Gruppe geläufig ist, oder Palaung-Wa, dann können Sie nach Herzenlust mit unseren mandeläugigen Mitarbeiterinnen kommunizieren. Dies ist ja die Grundvoraussetzung, um sich wohlfühlen zu können, eine offene aber nette Kommunikation.

Um Ihnen zu demonstrieren, wie zukunftweisend unsere Einrichtung ist, möchte ich Ihnen die Konsequenz vor Augen halten, die sich aus einer fehlenden Vorsorge ergibt: Zustände wie im Mittelalter! Das darf nicht sein! Aber ich will sie nicht schrecken. Wir sind ja alle vernünftig. Alles kein Problem. Ist es kein Traum, sich von mandeläugigem Liebreiz im Alter verwöhnen zu lassen?

Als gerontologisches Klinikum sind wir spezialisiert auf Erkrankungen, die im Alter auftreten. Es ist bekannt, dass, je älter die Menschen werden, auch die Leiden im Durchschnitt zunehmen. Weshalb sich die Menschheit dies antut, kann ich Ihnen nicht sagen, wir haben uns aber entschlossen, darauf zu reagieren und Ihr den Abschied von der Welt so angenehm wie möglich zu gestalten, mit allem medizinischen und menschlichen Raffinement, das sich von uns, dem Klinikum und seinen Mitarbeitern, aufbieten lässt.

Ich gehöre zum Team Öffentlichkeit und werde Sie durch einige Abteilungen führen. Nicht alle sind für Sie frei zugänglich, um die dort eingeschobenen Patienten nicht unnötig in Unruhe zu versetzen. Wir nehmen auch Spenden an. Sogar kleine Mittel erleichtern uns die Anschaffung von Gerätschaften und Utensilien, z.B. von Klopapier und Flüssigseife der Toiletten. Und wie Sie vielleicht bemerkt haben: Sie finden in mir eine Ansprechpartnerin, die auch Ihren etwaigen kritischen Fragen nicht ausweichen wird.

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