Freitag, 8. August 2014
Siechenhaus (Teil VIII)
XIV

Ist das von Ihnen entwickelte Scenario aber realistisch? Ich kenne die von Ihnen angeführte Schätzung, sie stammt vom Ende des ersten Jahrzehnts. Inzwischen ist es jedoch zu einem Einwanderungsboom von Akademikern aus EU- und anderen Staaten gekommen. Die Wirtschaft ist erfreut und verlangt nach mehr. Ich gebe Ihnen Recht, dass die demografische Entwicklung unerfreulich ist, aber der Zuzug blieb in ihrer Erklärung unberücksichtigt.

Danke für diese interessante Frage. Was wirklich sein wird, ist jedoch auch mit den aktuellen Zahlen schwer zu beantworten. Meiner Kenntnis nach reisen doppelt so viele Männer wie Frauen ein, um in Deutschland, in München und Hamburg zu arbeiten. Duisburg hat nur Leerstand zu bieten. Und weil Alterungprozesse von Gesellschaften im gesamten europäischen Raum zu beobachten sind, könnten innereuropäische Migrationbewegungen nicht zu einem Tendenzwechsel beitragen. Der Zuzug lässt die deutschen Sozial- und Krankenkassen weniger darben. Doch erforderliche Rücklagen werden nicht gebildet, alternative Konzepte nicht angeboten. Der Blick ist auf die Gegenwart gerichtet, auf die jeweilige Klientel. Eine erkennbare demografische Perspektive fehlt.

Wozu wohl auch eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf gehören würde. Ist das nicht so, dass besonders Deutschland versagt? Nicht mal die Kitas reichen aus! Alle reden von Familie, aber was getan wird, bleibt herzlos. Ich bin richtig sauer!


XV

Vor dem Fenster wippen und schaukeln Zweige. Ein sachter Wind könnte durch die Siechenhausstraße ziehen. Die kleinen schmalen Blätter blinken gelegentlich im Sonnenlicht. Aber Demografie ist nicht mein Thema. Leute hin, Leute her. Klar. Falls es mit der Menschheit zu Ende geht, dann geht es mit der Menschheit zu Ende. Was für ein lahmer Scheiß sich durch mein Hirn windet. Ich gehöre zu den Menschen, den Singles, die sich einer artgerechten Reproduktion verweigern. Gebt dem Ende eine Chance!

Es kommt nicht auf den Einzelnen an. Auch wenn ich Single bin. Ein Einzelner bin ich nicht. Der Einzelne schon gar nicht. Durchschnitte sind relevant. So weh dies auch tun mag. Einzelne sind völlig unerheblich! Es gibt sie nicht einmal! Allenfalls in einer degenerierten Fantasie. Um einen Einzelnen zu erhalten, müsste ich ihn aus einer Gesellschaft schneiden, als wäre diese ein Kuchen, ein Stück auf den Teller heben, ohne ein Stück zu erhalten. Das erhaltene Stück wäre nämlich ein Einzelnes, kein Stück von etwas. Es wäre eine Monade. Ohne Teller. Die durch ihre leere Einzelheit irrt. Und doch war und ist dies der Traum vieler Individualisten: Ich, sonst nichts.

Aber Menschen sind auch keine Kuchenstücke von etwas, z.B. einem Ganzen. Ein Single wäre ein Ganzes, jedoch nicht die Gesellschaft. Dort wuselt es nur. Wie in einem System von Systemen? Verifizieren ließe sich dies nicht. Ein Riesenaufwand, schematisch über Bände verteilt, nach Begriffen geordnet, letztlich beliebige Diktionen. Aber hört sich systematisch an! Sind wir denn alle nur blöd?

Auch als bekennender Individualist muss man keineswegs intelligent sein. Oder über Wissen verfügen, gar kreativ gestalten können. Ich blasen reicht. Und dabei die Lala aufdrehen, bis zum Hörsturz. Dies geschieht in Massen, hier im Stadtteil. Der Volumenregler als Garant der Iche. Und eventuell der Selbste, falls man grammatisch so weit vorgedrungen ist. Nein. Es lohnt einfach nicht, es lohnt nicht.

... comment