Samstag, 18. Februar 2017
Eine Bedingung (2)
Die Formulierung ‚Spiegel der Gesellschaft‘ ist eine altbürgerliche, relativ eingängige aber misslungene Metapher, mit der die Inhalte eines belletristischen und künstlerischen Buches schlicht entfallen. Sprache scheint gesellschaftlich derart ungewöhnlich und außerordentlich zu sein, dass man auf sie und ihre Anführung am besten verzichtet. Tatsächlich ist sie unter Menschen jedoch selbstverständlich, und wer mit ihr und ihren sozialen Konventionen hadert, zeigt sich gesellschaftlich asozial. So sehen es zumindest nicht wenige ‚Oberlehrer‘, die inzwischen auch durch das Internet streifen, nicht nur durch muffig riechenden Wohnviertel. Die Welt des Internets, der Bits und Bytes, ist übrigens genauso Wirklich wie die Außenwelt, virtuell könnte innerhalb jener allenfalls Dargestelltes sein, ob z.B. Hunde oder Katzen. Sprache jedoch, um auf die Metapher zurückzukommen, könnte gar nicht spiegeln.

Einem Erzähler wäre es aber möglich, sich mittels Sprache auf etwas zu beziehen, doch worauf? Auf die durch menschliche Sinneswahrnehmungen und Hirntätigkeiten erzeugte Wirklichkeit? Es wäre bereits schwierig, sprachliche Bezüge wissenschaftlich abzusichern. Ein angenommenes Vorliegen von Bezügen hat überprüfbar zu sein. Diese methodische Einengung erfolgte u.a. aufgrund der leicht entstehbaren Unsicherheiten im alltäglichen Umgang. Falls künstlerisch erzeugte Figuren ihre figürlich bzw. persönlich geprägten Eindrücke erläutern, dann nicht solche der gesellschaftlichen Wirklichkeit.
Nun kann etwas Außergewöhnliches geschehen: schwindet die Wirklichkeit, die Annahme einer Realität wäre ohnehin Humbug, eröffnen sich weitaus umfangreichere Räume von Möglichkeiten, von empirischen und sogar von logischen. Die empirischen Möglichkeiten sind primär durch probabilistische Naturgesetze beschränkt, logische Möglichkeiten ließen sogar einen Butt (vgl. Grass, G., 1979) sprechen, zumindest solange keine Widersprüchlichen Annahmen getätigt werden. Lediglich Vergleiche mit der Wirklichkeit, falls man einen Zugang hat, ließen sich sich bewerkstelligen.
Es gibt noch einen weiteren Unterschied zu den Wissenschaften. Einzelereignisse sind allenfalls politikwissenschaftlich und historisch relevant und werden i.d.R. zigfach erforscht und diskutiert. Literatur aber ‚lebt‘ erst durch erzählte Einzelfälle, durch sprachliche Besonderheiten.

Selbstverständlich wäre es weiterhin möglich, literarisch einer gesellschaftlichen Wirklichkeit ‚nachzueifern‘, den Erzählern sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten in den Mund zu legen, die quasi einen verbeulten Spiegel erscheinen lassen könnten, es wäre jedoch ebenso möglich, Skurrilitäten Raum zu schaffen, die im Kontext von Worten ‚Wirklichkeit‘ möglich sind. Vielleicht würde sich das experimentelle Niveau von Schriften erhöhen, bereits innerhalb der Romantik gab es ähnliche Bestrebungen, die ziemlich abgedreht anmuten könnten, im vorliegenden Kontext aber stünden relevante Schriften im Rahmen einer wissenschaftlichen Weltanschauung.
Die literarisch vordringlichste Schwierigkeit wäre, Figuren zu schaffen, denen man zutrauen könnte, sich durch solche Wirklichkeiten zu bewegen. Ich habe mich bislang für Künstler entschieden, zwei Tänzer (Modern Dance) und einen Sänger (Bariton), zudem für einen Duisburger Tourismusführer, der an Skurillität kaum zu überbieten ist. Die u.a. von ihnen erzeugten Formen sind freilich alles andere als marktgerecht, sie sind schlicht frei.

Literatur

Grass, G., 1979, Der Butt, Frankfurt a.M.

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